\setchapterpreamble[u]{% \dictum[speedysnail]{Bhopal is in Madhya Pradesh;\\ It's a city where memories are fresh\\ \qquad Of the havoc once wreaked\\ \qquad When some holding tanks leaked\\ And the culprits all prayed to Ganesh.}} \chapter{Bhopal-Unglück} \label{ch:bhopal} \bigskip Schädliche Auswirkungen von Pestiziden können in zwei verschiedenen Stadien eintreten: bei der Produktion und beim Einsatz der Chemikalien. Da sich die typischen Unfälle dabei stark unterscheiden, sollen sie im Folgenden getrennt betrachtet werden. Paradebeispiel für ein Chemieunglück im großen Stil ist das sogenannte \emph{Bhopal-Unglück}, das hier genauer geschildert werden soll. \section{Übersicht \christian} \subsection{Bhopal} \quelle{http://bhopal.nic.in} Bhopal ist eine große Industriestadt in Indien, etwa 740 Kilometer von Delhi entfernt, und hatte zum Zeitpunkt des Unglückes etwa 1,5 Millionen Einwohner. Sie liegt an zwei großen, künstlich angelegten Seen und ist daher attraktiv für die chemische Industrie. \quelle{http://en.wikipedia.org/wiki/Union\_Carbide} Unter anderem hatte die in Danbury, Conneticut ansässige Chemiefirma \emph{Union Carbide} eine Produktionsstätte in Bhopal, die dort das Pestizid \emph{Sevin} herstellte. \subsection{Union Carbide} \quellec[9]{http://en.wikipedia.org/wiki/Union\_Carbide} \quelle{http://www.endgame.org/carbide-history.html} Union Carbide wurde 1898 gegründet und nahm kurz darauf mehrere andere Firmen auf, darunter die \emph{National Carbon Company}, \emph{Linde Air Products}, \emph{Prest-O-Lite} und später (1937) auch die \emph{Bakelite Cooperation}. \quelle{http://www.bhopal.net/oldsite/documentlibrary/unionreport1985.html} 1969 eröffnete Union Carbide eine Pestizidfabrik in Bhopal, die zuerst allerdings nur aus den USA importierte Fertigkonzentate verwendete. 1975 erhielt Union Carbide dann von der indischen Regierung die Erlaubnis, selbst Methylisocyanat (MIC), ein wichtiges Zwischenprodukt der Sevinherstellung, zu produzieren und tat dies auch kurz darauf; Union Carbide gehörten 51\% der Produktionsstätte, der Rest war im Besitz verschiedener indischer Privatfirmen. \quelle{http://www.endgame.org/carbide-spills.html} Seit den Fünfzigern sind mehrere Chemieunfälle bekannt, die durch Union Carbide verursacht worden: Über tausend Tonnen Quecksilber gingen ``verloren'', 215 Tonnen davon gelangten in Gewässer und 13 Tonnen in die Luft. 1955 hatte fast jeder zweite Chemiearbeiter der Firma erhöhte Quecksilberwerte im Urin. Im Februar 1985 wurde bekannt, dass Union Carbide seit 1980 190 Lecks hatte, darunter 61 mal Methylisocyanat, das später noch wichtig wird und 107 mal Phosgen, einem extrem giftigen Gas, das im ersten Weltkrieg auch als Kampfgas eingesetzt wurde. Beide Stoffe sind Synthesebausteine für Insektizide. \quellec[11]{http://www.bhopal.net/oldsite/documentlibrary/unionreport1985.html} In Bhopal wurde aus Chlor und Kohlenstoffmonoxid, das dort aus Kohle gewonnen wurde, Phosgen hergestellt. Dieses konnte dann durch \G{Pyrolyse} mit Monomethyamin zu Methylisocyanat reagieren; als Lösungsmittel diente Chloroform. Das MIC wurde in zwei großen, unterirdischen, über 50000 Liter fassenden Tanks namens ``610'' und ``611'' zwischengelagert, bevor es mit $\alpha$-Naphthol zum gewünschten Endprodukt, dem Carbaryl (oder Sevin), reagierte. \quelle{http://webpages.marshall.edu/~ewen/UnCarb.htm} Union Carbide hatte 1998 ungefähr 11.500 Angestellte. \subsection{Dow Chemical} \quelle{http://www.endgame.org/dtc/d.html} Die andere wichtige Firma, die im Bhopal-Unglück eine signifikante Rolle spielt, ist \emph{Dow Chemical}. Sie wurde 1897 gegründet und stellte damals Chlorbleiche her. Im ersten Weltkrieg versorgte sie das US-Militär mit Senfgas und Pikrinsäure, das damals für Granaten verwendet wurde. Im zweiten Weltkrieg stellte sie Magnesiumbrandbomben her; später dann, im Vietnamkrieg, auch Napalm und \G{Agent Orange}. \quelle{http://en.wikipedia.org/wiki/Dow\_Chemical\_Company} Auch Dow Chemical fiel in der Firmengeschichte immer wieder durch verschiedene Unfälle auf. In den Achtzigern und Neunzigern wurde herausgefunden, das Brustimplantate, die in Zusammenarbeit mit Dow Chemical produziert wurden, Brustkrebs und Autoimmunschwächekrankheiten verursachten. Nach der Jahrtausendwende verklagten Anwohner der Gebiete um das Hauptquartier der Firma diese, da im Tittabawassee eine erhöhte Dioxinbelastung zu finden war. \quelle{http://www.panna.org/campaigns/caia/corpProfilesDow.dv.html\#focusDBCP} 1979 stellte Dow Chemical in Entwicklungsländern immer noch Dibromochloridpropan (DBCP) her, obwohl dies seit 1978 in den USA verboten war. Dieser Stoff gehört zu den \emph{Dirty Dozen} (Seite \pageref{ch:dd}) und ist als krebserregend und sterilisierend bekannt. Da dieser Stoff besonders auf Bananenplantagen verwendet wurde, sind ein Fünftel bis ein Viertel aller männlichen Plantagenarbeiter Costa Ricas unfruchtbar: dort wurde DBCP manuell angerührt. Mehr dazu im Kapitel über falsche Anwendung von Pestiziden, besonders Nemagon (Seite \pageref{sec:nemagon}). \quelle{http://www.endgame.org/carbide-merger.html} Im Dezember 1999 kaufte Dow Chemical Union Carbide für 11,6 Milliarden US-Dollar, die geschätzten 2,3 Milliarden US-Dollar Schulden eingenommen. Dadurch hatte Dow Chemical nun 49.000 Angestellte in 168 Ländern (darunter auch 12 Standorte in Deutschland, u.a. München, Hamburg und Düsseldorf) und war damit das zweitgrößte Chemieunternehmen weltweit. \section{Sevin chemisch betrachtet \dominic} \quellex{Chemie der Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmittel; Hrsg. R. Wegler; Band~1; Springer-Verlag Berlin -- Heidelberg -- New York~1970} Sevin ist eines der ältesten und umsatzmäßig das bedeutendste Carbamat-Insektizid. \begin{figure}[hb] \centering \includegraphics[width=2.5cm]{formeln/sevin} \caption{Strukturformel von Sevin: 1-Naphthyl-methylcarbamat} \end{figure} \subsection{Herstellung} Es gibt zwei technische Methoden N-Methylcarbamate von Phenolen herzustellen. \begin{enumerate}[(a)] \item Durch Reaktion von Phenol mit MIC in Gegenwart einer Spur eines Elektronendonators wie Tri-ethylamin. \item Eine zweistufige Reaktionsfolge: 1. Gewinnung von Chlorameisensäureester aus der Reaktion von Phenol mit Phosgen. 2. Vorsichtige Umsetzung von Chlorameisensäure mit Methylamin zum Carbamat. \end{enumerate} \subsection{Wirkung} Die Gruppe der Carbamate, zu der Sevin gehört, sind Cholinesterasehemmer. Die Moleküle lagern sich an die aktiven Zentren des Cholinesterase-Enzyms an. Das Cholinesterase-Enzym \G{hydrolisiert} Acetylcholin. Die Carbamate greifen das Zentrum an und crabamylieren das Enzym. Das Enzym kann sich nur sehr langsam regenerieren und ist daher lange blockiert, kann also keine Hydrolyse mehr vollziehen. Dadurch versagen die Synapsen in den Nervenbahnen ihre Funktion und die Reiz- oder Impulsweiterleitung ist unterbrochen. Es folgt eine kurze Phase von unkontrollierten Bewegungen und Lähmungen. Danach sind die betroffenen Insekten nicht mehr lebensfähig. Die Blockierung währt zu lange und es kommt zum Kollaps mit Todesfolge. Im Allgemeinen setzt die Wirkung je nach Art des Carbamats in etwa 1--30 Minuten ein. Fallen gelähmte Schädlinge jedoch sofort aus dem behandelten Bereich heraus, so wird gelegentlich eine Wiedererholung beobachtet. Carbamate wirken allgemein als Fraß-, Kontakt- und Atmungsgifte, was sie universell einsetzbar macht. Einige Carbamate werden auch gut von Pflanzen aufgenommen und in den Leitungsbahnen vornehmlich im Xylem über das ganze Pflanzensystem verteilt und vorübergehend gespeichert. \subsection{Metabolismus} Das Schicksal von Handels-Carbamat-Insektiziden wurde in Pflanzen, Insekten und Warmblütern mit Präparaten verfolgt, die entweder am Methyl-, am Carbonyl- oder an einem Ring-Kohlenstoffatom, bzw. an einem Kohlenstoffatom des Ketoxin-Restes, radioaktiv markiert waren. Der Abbau erfolgt durch Oxidationen des Phenylkerns und der N-Methyl-Gruppe, sowie durch Hydrolyse neben- und nacheinander. Die Endprodukte werden als CO$_2$ ausgeatmet oder als Konjugationsverbindungen mit den Sekreten ausgeschieden. In Insekten wird die Entgiftung der Phenylcarbamate vorwiegend durch eine Hydroxylierung des phenolischen Rings eingeleitet. Bei Carbamaten mit einer Thiomethyl-Gruppe wird diese erst zum Sulfon oxidiert. Bisher wurde bei den Carbamaten kein Umwandlungsprodukt gefunden, das in seinen insektiziden Eigenschaften und in der Warmblütertoxizität die Ausgangsverbindungen übertroffen hätte oder das eine chronische Toxizität besaß. Auch bei Warmblütern besteht eine Wirkung als Cholinesterasehemmer. Bei Ratten liegt die orale LD$_{50}$ bei Werten zwischen 1 und 1000 mg/kg. Typische Anzeichen für eine Cholinesterasevergiftung sind Übelkeit, Erbrechen, Schweißausbruch und vermehrter Stuhldrang. In schweren Fällen treten Atemnot und Krämpfe mit Todesfolge auf. \subsection{Einsatz} 1970 hatte Sevin in den USA die amtliche Anerkennung für 150 Schadinsekten, konnte also bei einem Befall mit diesen Schadinsekten angewendet werden. Anwendungsbereiche von Sevin sind vor allem der Baumwollanbau, der Obstanbau und der Gemüseanbau. In den Baumwollanbau flossen noch 1970 40\% der Gesamtproduktion von Sevin. Bei Fliegen und Spinnmilben hat Sevin keine Wirkung, bei Blattläusen besteht nur geringe Wirkung, es kann also bei Anwendung zu starker Vermehrung von Blattläusen und Spinnmilben kommen, durch die Vernichtung derer natürlicher Feinde. In Gebieten mit längerem Einsatz von Sevin werden erste Resistenzerscheinungen beobachtet. Außerdem ist Sevin bienengefährlich. \section{Methylisocyanat chemisch betrachtet \dominic} \label{sec:mic} \quelle{http://www.gifte.de/Chemikalien/methylisocyanat.htm} \quelle{http://de.wikipedia.org/wiki/Methylisocyanat} Ein Nebenprodukt zur Herstellung von Sevin. \begin{figure}[hb] \centering \includegraphics[width=2.5cm]{formeln/mic} \caption{Strukturformel von Methylisocyanat (MIC)\newline MIC ist der einfachste Ester der Isocyansäure.} \end{figure} \subsection{Herstellung} Um MIC herzustellen lässt man Phosgen und Methylamin miteinander reagieren. Zuerst wird Salzsäure (HCl) abgespalten und dann wird das Zwischenprodukt Carbamoylchlorid zu MIC umgewandelt. \subsection{Wirkung} MIC ist ein Fraß-, Kontakt- und Atemgift, es ist außerdem sehr \G{nukleophil}. Es greift bevorzugt Biomoleküle, die im Stoffwechsel aktiv sind, an. Der Transportmechanismus wurde erst 1992 geklärt: Gluthation, ein Tripeptid mit der Aufgabe den Organismus vor Schäden durch toxische Substanzen zu schützen, addiert MIC reversibel an die Thiolgruppe und transportiert es somit im Körper. MIC wirkt bei Kontakt ätzend auf Schleimhäute, Augen und Lungen. Bei Freisetzung von MIC bei 20°C Lufttemperatur erfolgt eine schnelle Kontamination der Luft. Ein paar beispielhafte Reaktionen an den Augen bei Einwirkung von MIC sind Schmerzen, Verbrennungen, Verätzungen und Sehbeeinträchtigungen. Auf der Haut können diese Symptome, wie Schmerzen, Verbrennungen und Verätzungen auftreten. Bei oraler Aufnahme von MIC können sich Symptome, wie Übelkeit, Erbrechen, \G{abdominelle} Krämpfe, Halsschmerzen oder Verätzungen einstellen. Nach inhalativer Aufnahme des Wirkstoffs können einige Symptome, wie Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, Verätzungen, Halsschmerzen, ein Husten, eine \G{Dyspnoe} oder auch Bewusstseinsstörungen bis zur Bewusstlosigkeit eintreten. Das Auftreten der Symptome ist verzögert möglich. Als schlimmste inhalatorische Folge kann sich ein toxisches Lungenödem bilden. Die Einwirkung des Stoffes kann letal enden, wiederholter oder länger andauernder Kontakt kann eine Sensibilisierung auslösen. Bei wiederholter oder längerer Einwirkung folgen Schädigungen der Lunge. \subsection{Anwendung} MIC wird zur Herstellung von Carbamaten durch Umsetzung mit Alkoholen genutzt. Es wird darüber hinaus auch zur Herstellung von speziellen Harnstoffen durch Umsetzung mit Aminen genutzt. \section{Detailierter Tathergang \christian} %quelle: Was also geschah an jenem 3. Dezember 1984, dass dieser wenig später dann als größtes ``Chemie-Unglück aller Zeiten'' oder gar ``Hiroshima der Chemieindustrie'' in die Geschichte eingehen sollte? \quellec[11]{http://www.bhopal.net/oldsite/documentlibrary/unionreport1985.html} \quelle[2006-06-01]{http://en.wikipedia.org/wiki/Bhopal\_disaster} \quelle[2006-06-01]{http://de.wikipedia.org/wiki/Bhopalunglück} \quelle{http://www.umweltinstitut.org/frames/all/m99.htm} Fünfundzwanzig bis vierzig Tonnen Methylisocyanat wurden zwischen Mitternacht und zwei Uhr explosionsartig freigesetzt. Im Tank ``610'' gelangten 450--900 Liter Wasser und verursachten so eine starke, exotherme Reaktion. Der genaue Hergang ist unklar. Es wird spekuliert, es sei zu einer Verwechslung von Leitungen gekommen (Wasser statt Stickstoff), möglicherweise gab es defekte Ventile. Andere vermuten, der Druck wurde absichtlich erhöht, um ein Leck zu finden (die Sevin-Produktion verwendete inwischen Tank ``611'', da auf Tank ``610'' nicht zugegriffen werden konnte). Auch Sabotage ist nicht ausgeschlossen, bei späteren Untersuchungen wurde ein Manometerstutzen gefunden, an dem eine Wasserzuleitung angeschlossen war(!). Was auch immer der eigentliche Grund für das Leck war, es kommt noch schlimmer. Gegen~1 Uhr nachts bewegte sich die Gaswolke unerwartet über die Nachbarschaft Bhopals. \quellec[21]{http://en.wikipedia.org/wiki/Bhopal\_disaster} \quelle{http://de.wikipedia.org/wiki/Dimethylamin} Ganze zwei Stunden lang wurden keine Maßnahmen getroffen und die Reaktionsprodukte konnten ungehindert in das Stadtgebiet austreten---der Großteil der Bewohner schlief. Unter anderem wurde Dimethylamin frei, ein Gas das schwerer als Luft ist und sich so am Boden ausbreitete und vom Wind in alle Richtungen getragen wurde. Das Gas unterliegt speziellen gesetzlichen Beschränkungen, da es für die Giftgasproduktion und auch für illegale Drogen (z.b. Psilocybin) eingesetzt werden kann. %quelle: Sechzehn Stunden tat Union Carbide einfach nichts. Viele Bewohner Bhopals rannten in Richtung der Klink, die durch ungünstige Windverhältnisse nun inmitten der Giftwolke lag. Dann wurde eine Pressekonferenz vorbereitet. Die ersten Atemwegsspezialisten kamen nach einer Woche. Zu dieser Zeit war die \G{Toxikologie} von MIC völlig unbekannt, die Ärzte wussten nicht genau, wie sie die Opfer behandeln sollten. \section{Gründe für das Unglück \christian} Wie konnte es dazu überhaupt kommen? \quellec[11]{http://www.bhopal.net/oldsite/documentlibrary/unionreport1985.html} Definitiv bekannt ist, dass das MIC nicht spezifikationsgerecht bzw. verunreinigt war und in viel zu vollen und zu großen Tanks lagerte. Der Chlorgehalt war viel zu hoch (entweder war das MIC durch Phosgen oder Chloroform kontaminiert), und dadurch geschah etwas fatales: Die Chlorionen griffen den Eisentank an und die so entstandenen Eisenionen katalysierten die Reaktion des MIC. Bei spezifikationsgerechtem MIC wäre das Eintreten des Wassers bei weitem nicht so gefährlich gewesen. \quellec[11]{http://www.bhopal.net/oldsite/documentlibrary/unionreport1985.html} Die Sevinproduktion in Bhopal war nicht auf große Zwischenspeicherung von MIC angewiesen; da die Produktion jedoch kurzfristig wegen Reparaturarbeiten eingestellt wurde, fielen großere Mengen MIC an, und die Tanks mussten mehr als bis zur Hälfte (der maximal empfohlenen Füllwert) genutzt werden. Schon damals wäre es möglich gewesen, Sevin ohne jegliche Zwischenspeicherung von MIC herzustellen; in einer Sevinfabrik von DuPont gibt es beispielsweise nie mehr als 10 Kilogramm MIC, da es sofort weiterverabeitet wird. Sevinproduktion gänzlich ohne MIC wäre auch denkbar, allerdings wird vermutet, dass das MIC auch für andere Zwecke gedacht war, da es ein flexibel einsetzbares Zwischenprodukt ist. \quellec[11]{http://www.bhopal.net/oldsite/documentlibrary/unionreport1985.html} Theoretisch hätte eine Unlagerung des MIC von Tank 610 in Tank 611 und den Reservetank 619 die Reaktion stark abgeschwächt oder zumindest verzögern können. Allerdings war nicht bekannt, wieviel MIC in diesen Tanks war, da die Arbeiter den Ventilen nicht trauten. Daher wollten sie nicht, dass sich die Reaktion in diesen Tanks fortsetzte. Viel schlimmer jedoch ist die Liste der mangelnden und mangelhaften Sicherheitsvorkehrungen Union Carbides. Normalerweise gibt es Sicherheitskühlsysteme für die Lagerung von MIC, die dieses im Notfall stark kühlen und so reaktionsträger machte; diese waren aber seit fünf Monaten(!) abgeschaltet, da die Kühlmittel anderwertig gebraucht wurden und Geld gespart werden musste. Auch eine Gasfackel und andere Mittel gegen Gasaustritt waren nicht funktionsfähig---diese hätten allerdings auch nicht mehr viel geholfen, möglicherweise hätte die Gasfackel sogar zu einer Explosion der MIC-Wolke geführt. Der Versuch einiger Arbeiter, die ungehindert austretenden Gase mit Wasser zu neutralisieren, scheiterte schnell. Es dauerte lange, bis der Unfall überhaupt bekannt wurde, da das Anlagenpersonal reduziert war (nur sechs statt zwölf Personen) und die Schichtleiter außerdem alle Teepause hatten. Aus Kostengründen wurden auch die Sicherheitsausbildung der Arbeiter stark vernachlässigt. Alle Warnschilder und Dokumentationen waren auf Englisch, ein Großteil der Arbeiter konnte jedoch nur Hindi. Später wurde auch die Alarmsirene abgestellt, um die Bevölkerung nicht zu beunruhigen(!). \quellec[11]{http://www.bhopal.net/oldsite/documentlibrary/unionreport1985.html} Schon vorher ist die Produktionsstätte durch Unsicherheiten aufgefallen: Im Dezember 1981 starb ein Arbeiter durch ein Phosgen-Leck, zwei Wochen später gab es ein weiteres. In Februar und August 1982 wurde MIC frei; im Oktober darauf MIC, Salzsäure und Chloroform. Schon 1976 beschwerten sich die Gewerkschaften über unzureichende Sicherheitsvorkehrungen. Trotz alledem wurde an der Situation nichts geändert. Es gab keinerlei Katastrophenpläne seitens Union Carbide, die bei der Bevölkerung als ``Pflan\-zen\-me\-di\-zin''-Fabrik bekannt war; die Bevölkerung wusste nicht um die Gefährlichkeit der Stoffe, die dort produziert wurden. Bereits einfachste Maßnahmen, wie sich auf den Boden zu legen und ein feuchtes Tuch vor den Mund zu nehmen, hätten gereicht, um viele Menschenleben zu retten. \section{Folgen \svenja} \subsection{Die gesundheitlichen Folgen} \quellec[22]{http://www.wikipedia.org/wiki/Bhopalungl\%C3/BCck} \quellec[23]{http://www.umweltinstitut.org/frames/all/m99.htm} \quelle{http://www.greenpeace.de} Die Giftwolke überraschte die Bewohner von Bhopal im Schlaf. Die Bevölkerung wusste nicht, was sie tun sollte, es gab keinerlei Verhaltensregeln für so einen Fall. Denn immerhin dachte die Bevölkerung, dass die Fabrik ``Pflanzenmedizin'' herstelle. Es brach Panik aus, die Menschen liefen in Richtung Klinik und somit direkt in die Giftwolke. Laut Schätzungen starben rund 8.000 Menschen sofort, nachdem sie mit der Giftwolke Kontakt hatten. In den nächsten Wochen und Monaten erstickten Tausende qualvoll. Offiziell starben 15.000 Menschen durch den direkten Kontakt mit dem Giftgas, aber Hilfsorganisationen schätzen die Opferzahlen auf 20.000 bis 30.000. So genau kann das keiner sagen, denn rund um die Fabrik waren die Armenviertel von Bhopal, deren Bewohnerzahlen niemand genau kannte. Außerdem machte sich niemand die Mühe, die Leichen, die die Straßen um die Fabrik herum pflasterten, zu zählen. Denn wen interessieren schon ein paar tote Arme? \begin{figure}[h] \centering \includegraphics[width=0.75\textwidth]{bilder/bhopal1} \caption{Überall auf der Straße liegen Leichen\newline http://yasminthestoryteller.blogspot.com/2005/10/bhopal-2005-rashida-bees-nieces-apply.html} \end{figure} \begin{figure}[h] \centering \includegraphics[width=0.75\textwidth]{bilder/bhopal2} \caption{Beerdigung eines Kindes, das in dieser Nacht ums Leben kam\newline http://www.astrosurf.org/lombry/sysol-terre-plaidoyer5.htm} \end{figure} Des Weiteren gab es rund 500.000 Verletzte. Sie waren durch das Giftgas erblindet oder/und erlitten Hirnschäden, Lungenödeme, Nieren-, Magen-, Herz-, Leberleiden und Lähmungen. Außerdem wurden viele der Opfer unfruchtbar. Aber die Opfer erlitten nicht nur körperliche Schäden, sondern auch psychische. Viele wurden mit schweren psychischen Traumata eingeliefert. Die ohnehin schon zumeist unterqualifizierten Ärzte waren total überfordert und die Krankenhäuser nicht ausreichend ausgestattet. Da Union Carbide die Bevölkerung und die Ärzte niemals über die Gefährlichkeit der von ihnen hergestellten Stoffe aufgeklärt hatte, waren die Ärzte ratlos. Die Toxikologie von MIC war bis dahin nicht bekannt und somit kannten die Ärzte kein Gegengift und keine spezielle Therapie. Sie konnten die Opfer nur \G{symptomatisch behandeln}. Die derzeitig bekannten Symptome der Gasopfer sind laut dem Umweltinstitut wie folgt: \begin{spacing}{1} \begin{itemize} \item Dyspnoe \item Thoraxschmerzen (Schmerzen im Brustkorb) \item Angst und Panikattacken \item Husten, Auswurf \item Konzentrations-/Gedächtnisstörungen \item Müdigkeit \item Irritabilität (Reizbarkeit, Empfindlichkeit) \item Muskelschmerzen \item Kopfschmerzen \item Abdominelle Beschwerden \item Menstruationsstörungen \item Kribbeln und Taubheitsgefühle \item Fluor vaginalis (Ausfluss aus der Scheide oder Gebärmutter) \item Sehkraftverminderung \item Physische und mentale Retardierung bei Nachkommen \item Augentränen \end{itemize} \end{spacing} Es kam nicht nur zu akuten gesundheitlichen Schäden. Es wird geschätzt, dass ca. 150.000 Menschen seit der Katastrophe chronisch krank sind und jährlich sollen ca. 380 weitere Gasopfer an den Langzeitschäden der Vergiftung sterben. Viele der Betroffenen leiden unter den Spätfolgen, wie Atemwegserkrankungen, Krebs und Sehbehinderungen. Man fand durch Autopsien heraus, dass das Giftgas auch neurotoxische Wirkungen hat, die zu Auflösungserscheinungen in den Gehirnen der Betroffenen führen können. Viele der Opfer leiden außerdem unter starken psychischen Problemen. Und das Gift breitet sich auch in der nächsten Generation aus. Viele der Kinder von Gas-Opfern sind geistig und/oder körperlich behindert. Viele kommen mit Missbildungen zur Welt. Noch heute ist die Rate der Geburtsfehler in Bhopal viermal so hoch wie durchschnittlich in Indien. \subsection{Die Hilfsorganisation IMCB} \quellec[23]{http://www.umweltinstitut.org/frames/all/m99.htm} Die Betroffenen und ihre Angehörigen haben sich zu verschiedenen Organisationen zusammengeschlossen, die Anerkennung und Hilfe wollen. Diese Organisationen baten dann 1992 das International Institue for Enviromental Concern darum, dass die Situation in Bhopal durch eine unabhängige, internationale Expertenkommission aus Ärzten überprüft werden solle. So wurde die Internationale Medizinische Kommission zu Bhopal (engl.: \emph{International Medical Commission on Bhopal}) zusammengestellt und 1994 nach Bhopal geschickt, um dort ausführliche Untersuchungen durchzuführen. Die IMCB setzte sich aus ehrenamtlichen Wissenschaftlern und indischen Fachkollegen zusammen und wurde hauptsächlich durch Spenden von ``Brot für die Welt'' und Greenpeace finanziert. Erstmals wurden die Opfer eingehend untersucht, besonderes Augenmerk lag hierbei auf den chronischen Gesundheitsschäden der Opfer. Die IMCB befasste sich des Weiteren mit der sozialen Situation und der medizinischen Versorgung der Opfer. Die Kommission untersuchte, informierte und beriet die Opfer. Durch \G{spirometrische} und neurologische Untersuchungen konnte die IMCB beweisen, dass die Beschwerden der Opfer auf die Katastrophe zurückzuführen sind und dass sie somit Anspruch auf Entschädigung haben. Ein weiteres Ergebnis der Untersuchungen war, dass die gesundheitliche Versorgung der Opfer unzureichend ist und verbessert werden muss. Eine Verbesserung ist das ``Gesundheitsbuch'' (\emph{Health booklet}), das alle Ergebnisse und Befunde dokumentiert und somit eine bessere medizinische Versorgung gewähren soll. Eine weitere Verbesserung ist die Einführung von Patientenpässen mit Foto, in denen alle Befunde zur Person eingetragen werden. Dieser Patientenpass soll gewährleisten, dass die Opfer kostenlos medizinisch behandelt werden. Doch von vielen Betroffenen wird dieses staatliche Angebot nicht genutzt, da es in den staatlichen Kliniken oft große Warteschlangen gibt. So gehen viele zu den Privatärzten, die in Bhopal zahlreich angesiedelt sind und bekommen dafür hohe Arztrechnungen. Leider fand man heraus, dass viele dieser Privatärzte nicht professionell medizinisch qualifiziert sind. Man schätzt, dass dies bei 70\%(!) der Privatärzte der Fall ist. \subsection{Sambhavna Trust} \quellec[23]{http://www.umweltinstitut.org/frames/all/m99.htm} In Verbindung mit Organisationen, die aktiv bei der Verbesserung der Situation in Bhopal helfen, muss der Sambhavna Trust auf jeden Fall genannt werden. Der Sambhavna Trust ist eine Nichtregierungsorganisation, die in Bhopal eine Klinik betreibt. Er wurde 1995 gegründet und finanziert sich aus Spendenmitteln, die hauptsächlich aus England, Australien, Indien und den USA kommen. Der Sambhavna Trust wird von Satinath Sarangi geleitet. In den meisten Nachrichten über Bhopal taucht sein Name auf, er gilt als einer der engagiertesten Aktivisten in Bhopal. Der Sambhavna Trust verwaltet ein kleines Gesundheitszentrum, in dem über 4.000 Langzeit-Patienten mit chronischen Beschwerden betreut werden. In diesem Gesundheitszentrum wird aber nicht nur moderne Medizin praktiziert, sondern man benutzt auch traditionelle Heilverfahren wie die Ayurvedamedizin oder Yogatechniken. Diese Verfahrensweisen sind sehr erfolgreich. Es konnte nachgewiesen werden, dass sich durch die traditionelle Behandlung die Lungenfunktion verbessert und der Medikamentenkonsum gemindert hat. \subsection{Gerechtigkeit für Bhopal?} \quellec[22]{http://www.wikipedia.org/wiki/Bhopalungl\%C3/BCck} \quellec[25]{http://www.greenpeace.de} \quelle{http://www.krisennavigator.de/rifa4-d.htm} \quelle{http://www.bhopal.net} \quelle{http://www.taz.de/pt/2004/12/10/a0028.1/text.ges,1} \quelle{http://www2.amnesty.de} Jeder normale Mensch würde eine beträchtliche Entschädigung seitens Union Carbides für eine logische Folge der Katastrophe halten. So auch die Betroffenen des Unglücks. Aber viele warten noch heute auf eine Entschädigung. Nach ca. einem halben Jahr reichten die Ersten Einzelklagen gegen den Chemiekonzern ein. Ein langwieriger Rechtsstreit folgte und 1989 schloss die indische Regierung einen Vergleich mit Union Carbide. Der Chemiekonzern wollte sich durch die Schadensersatzzahlung von rund 470 Millionen US-Dollar (1999 betrug der Umsatz der Firma 4,1 Milliarden US-Dollar!) weiteren Klagen entziehen. Das Problem war nur, dass zum Zeitpunkt des Vergleichs nur von einem Bruchteil der Opferzahlen die Rede war. Somit erhielt ein Betroffener zwischen 370 US-\$ und 533 US-\$. Das Geld reichte gerade einmal um die Arztkosten der letzten Jahre zu begleichen. Außerdem verliefen die Auszahlungen nur schleppend und nicht die gesamte Schadensersatzsumme wurde an die Opfer ausgezahlt. Viele der Opfer werden aber noch ein Leben lang ärztliche Hilfe benötigen. Außerdem werden die Menschen, die durch das verseuchte Grundwasser vergiftet werden, überhaupt nicht entschädigt. 1999 wird die Union Carbide Corporation dann von dem Chemiekonzern Dow Chemical übernommen. Dow Chemical weigert sich aber, auch die Haftung für das Unglück zu übernehmen. Der damalige Dow-Präsident Frank Popoff gab 1999 folgenden Kommentar ab: ``Es liegt nicht in meiner Macht, Verantwortung zu übernehmen für ein Ereignis, dass sich vor 15 Jahren mit einem Produkt ereignet hat, das wir nicht entwickelt haben, an einem Ort, wo wir nie eine Fabrik betrieben haben.'' Die Folge waren viele Proteste und die Bildung von Organisationen, die Gerechtigkeit fordern. Eine Organisation dieser Art ist die Internationale Kampagne für Gerechtigkeit in Bhopal (engl.: International Campaign for Justice in Bhopal). Sie besteht hauptsächlich aus Betroffenen, indischen Studenten und Menschenrechts- und Umwelt-Aktivisten. Die ICJB fordert von Dow Chemical die vollständige Sanierung des verseuchten Gebiets und des Grundwassers in Bhopal, außerdem finanzielle Wiedergutmachung für alle Betroffenen und schließlich die Garantie für medizinische Langzeitversorgung und sauberes Grundwasser für alle Betroffenen. Ein weiterer Streitpunkt ist Warren Anderson. Er war zum Zeitpunkt des Unglücks Chef von Union Carbide. Die ICJB fordert, dass Anderson sich der indischen Justiz stellen soll. 1992 erfolgte ein Haftbefehl gegen Anderson, doch dieser tauchte in den USA unter und war offiziell von der US-Regierung nicht auffindbar. 1993 wurde er dann von der indischen Justiz für justizflüchtig erklärt. 2002 wurde Anderson von Journalisten in den USA aufgespürt, aber Auslieferungsanträge werden immer wieder abgelehnt. So wurden die Verantwortlichen an dem Unglück noch immer nicht zur Rechenschaft gezogen und die Opfer warten noch immer auf Gerechtigkeit. Aber die Aktivisten geben nicht auf und kämpfen weiter. Satinath Sarangi ist von ihrer Sache überzeugt: ``Wir kämpfen für wirkliche Gerechtigkeit, und wir werden immer mehr.'' \subsection{Die regionalen Folgen} \quellec[23]{http://www.umweltinstitut.org/frames/all/m99.htm} \quellec[25]{http://www.greenpeace.de} \quellec[28]{http://www.taz.de/pt/2004/12/10/a0028.1/text.ges,1} \quellec[29]{http://www2.amnesty.de} Wie erwähnt leiden viele unter den Langzeitfolgen der Katastrophe. Es wird geschätzt, dass 90\% der Gas-Opfer nur eingeschränkt arbeitsfähig sind. Bis heute haben die Opfer nur unzureichende Entschädigung erhalten. Aber die Betroffenen brauchen Geld, um die hohen Arztkosten zu bezahlen, denn die Meisten benötigen wegen ihren chronischen Krankheiten regelmäßig ärztliche Hilfe. Fast das gesamte Einkommen geht für die Rechnungen drauf. Das führt dazu, dass die Bevölkerung in Bhopal noch ärmer wird. Viele können sich nicht einmal einen Arzt leisten und siechen qualvoll vor sich hin. Außerdem ist es sehr problematisch, Ansprüche auf Entschädigung zu beweisen. Denn mittlerweile liegt das Unglück über 20 Jahre zurück und die Schäden durch MIC lassen sich nicht so leicht nachweisen. Die Betroffenen müssen nachweisen, dass sie in der Nacht der Katastrophe in dem betroffenen Gebiet wohnten und ein ärztliches Attest liefern, das bestätigt, dass sie krank sind. Um das alles zu beweisen, brauchen die Betroffenen Papiere, die sie nur über den bürokratischen Weg erhalten können, der ihnen aufgrund ihrer Armut oftmals nicht offen steht. In Bhopal herrscht sogar ein reger Schwarzmarkt, auf dem solche Papiere teuer verkauft werden. Ein weiteres großes Problem ist, dass das Fabrikgelände und das Gebiet herum niemals saniert wurden. Kurz nach der Katastrophe hat sich Union Carbide fluchtartig aus Indien zurückgezogen und hunderte Tonnen Giftmüll und schätzungsweise 27.000 Tonnen vergiftetes Erdreich zurückgelassen. Das Grundwasser ist vergiftet, aber es wird trotzdem noch getrunken und ihm alltäglichen Leben gebraucht, z.B. um die Felder zu bewässern und die Tiere zu tränken. Im dort angebauten Gemüse und sogar in Muttermilch von Frauen aus Bhopal wurden Giftstoffe gefunden. Zwar wird den Leuten in Bhopal von der indischen Regierung sauberes Wasser zur Verfügung gestellt, aber davon viel zu wenig. So fand der Sambhavna Trust heraus, dass monatlich rund 800.000 Liter Wasser fehlen, um den Bedarf der Bevölkerung zu decken und weitere Vergiftungen zu verhindern. Vor allem die Kinder sind betroffen, denn das Fabrikgelände ist teilweise zugänglich. Die Kinder spielen auf dem vergifteten Boden und baden in vergifteten Seen. Deshalb kommt es immer wieder zu neuen Vergiftungen, zu neuen Langzeit-Patienten und zu noch mehr Toten. Das ist ein Teufelskreis, dem die arme Bevölkerung in Bhopal nicht ohne Hilfe von außen entkommen kann! Des Weiteren herrscht in Bhopal eine allgemeine Verbitterung. Ihren Unmut drücken die Betroffenen mit Demonstrationen, Protesten und Hungerstreiks aus. Sprüche wie ``hang Anderson'' an den Hauswänden sind keine Seltenheit. \begin{figure}[h] \centering \includegraphics[width=0.65\textwidth]{bilder/bhopal3} \caption{Solche Parolen zeigen, wie tief die Verbitterung der Bevölkerung ist\newline http://www.greenpeace.de} \end{figure} \begin{figure}[h] \centering \includegraphics[width=0.65\textwidth]{bilder/bhopal4} \caption{Immer wieder finden Demonstrationen statt\newline http://www.foei.org/publications/interlinkages/dec\_jan2005.html} \end{figure} Da Dow Chemical sich noch immer weigert, das Gebiet zu sanieren, wurden 2005 von indischen Regierungsstellen Wanderarbeiter nach Bhopal geschickt, um das Fabrikgelände aufzuräumen. Problematisch daran ist nur, dass die Regierung den Arbeitern keinerlei Schutzkleidung zur Verfügung stellt. So räumen die Arbeiter das Gebiet mit bloßen Händen auf. Ohne Atemschutzmasken oder Handschuhe fassen die Arbeiter die hochgiftigen Chemikalien an. Sie tragen auch keine Schutzkleidung, gerade mal ein T-Shirt, wenn überhaupt. Somit wird die Gesundheit de Wanderarbeiter bewusst gefährdet. Die Internationale Kampagne für Gerechtigkeit in Bhopal (ICJB) protestierte dagegen und verwies darauf, dass es laut den Paragraphen 283 und 284 des indischen Strafgesetzes verboten ist, Männer, Frauen oder Kinder ohne entsprechende Schutzmaßnahmen mit Arbeiten mit gefährlichen Chemikalien zu beauftragen. Die ICJB errichtete vor dem Eingang zum Fabrikgelände einen Informations-Stand, um die Arbeiter über die Gefahren aufzuklären. Außerdem forderte die ICJB die Regierung auf, die unprofessionellen Aufräumarbeiten einzustellen und professionelle Aufräumaktionen zu starten, die von Dow Chemical finanziert werden sollen. Hiermit forderte die ICJB die indische Regierung zur Mithilfe im Prozess gegen den Chemiekonzern auf. \begin{figure}[h] \centering \includegraphics[width=0.75\textwidth]{bilder/bhopal5} \caption{Der Informations-Stand vor dem Eingang des Fabrikgeländes\newline http://www.greenpeace.org} \end{figure} \begin{figure}[!h] \centering \includegraphics[width=0.75\textwidth]{bilder/bhopal6} \caption{Die Arbeiter beseitigen die hochgiftigen Stoffe mit bloßen Händen\newline http://www.greenpeace.de} \end{figure} \subsection{Die Lehren aus dem Unglück} \quellec[23]{http://www.umweltinstitut.org/frames/all/m99.htm} Nach dem Unglück stellte man sich die Frage, wie es zu diesem Unglück kommen konnte und wie ähnliche Katastrophen verhindert werden können. Man diskutierte heftig über die Sicherheit in solchen Fabriken. Besonders die Sicherheitsvorkehrungen in Industrieanlagen in Entwicklungsländern waren Thema. Denn ein Grund für das Unglück in Bhopal war, dass man aus Geldgründen die Sicherheitsvorkehrungen nur unzureichend eingehalten hatte. Es stellt sich die Frage, ob es in reichen Ländern, wie der Bundesrepublik Deutschland, zu einem Unglück mit solchem Ausmaß kommen kann. Denn in reichen Ländern sind die Sicherheitsbestimmungen nicht so leicht zu umgehen und die zuständigen Behörden nicht so korrupt. Somit wurde eine bessere Überwachung der Sicherheitsvorkehrungen in Fabriken in Entwicklungsländern gefordert. Eine weitere Lehre aus dem Unglück ist, dass man durch Katastrophenschutzpläne vielen das Leben retten kann. Denn hätte man die Bewohner vor dem Unglück aufgeklärt und sie über Verhaltensregeln im Falle eines Unfalls in der Fabrik informiert, könnten ein Großteil der Opfer noch leben und dies auch in Gesundheit. \pagebreak Traurigerweise musste erst eine Katastrophe wie die in Bhopal geschehen, dass man die Toxikologie von Methylisocyanat (MIC) genau erforscht. Vor dem Unglück waren die Kenntnisse über Auswirkungen von MIC auf den Körper unzureichend; man wusste nicht, wie der Körper auf das MIC reagiert. Und trotzdem kam es zum Einsatz. Da stellt man sich schon die Frage, wie die Chemiekonzerne die Arbeit mit MIC überhaupt verantworten konnten. Außerdem muss die medizinische Akutversorgung im Falle von Katastrophen verbessert werden. Mindestens die Ärzte hätten über das MIC und seine Toxikologie Bescheid haben müssen, um die Anzahl der Toten und der Langzeit-Patienten beträchtlich zu mindern. Des Weiteren wurde kritisiert, dass man nicht von Anfang an die Namen und Symptome der Opfer dokumentiert hatte. Dies hätte die Entschädigungsverfahren um ein Vielfaches vereinfacht und hätte frühzeitige Studien ermöglicht. Denn bei solchen Katastrophen ist die Dokumentation sehr wichtig, um Rückschlüsse ziehen zu können und sich besser auf folgende Katastrophen vorzubereiten. %%% Local Variables: %%% mode: latex %%% TeX-master: "doku" %%% End: